Eine mittelalterliche, fast 2 Meter lange Rätselrolle, gülden bedruckt. Die Schriftrolle der Geheimnisse ist ein wunderschönes Spiel – mit einem gewissen Schönheitsfehler.
Wir könnten an dieser Stelle natürlich mit der Story einsteigen. Sie führt zwar atmosphärisch sehr gut in das Setting ein, liest sich aber wie das reinste Mittelalter-Fantasy-Bullshit-Bingo.
Irgendwelche Könige herrschen über irgendein Reich, das dank eines mystischen Relikts in Frieden lebt, bis irgendwelche Diebe das mystische Relikt (aber nur das eine, nicht das andere) von einem mystischen Ort entführen, und so der mystische, auf Rache sinnende Feind das Reich bedroht, wenn sich nicht eine Gruppe tapferer, aber sehr unterschiedlicher Helden (Elf, Riese, Zwerg, Mensch, alles dabei) auf den Weg macht, das mystische Relikt zurückzuholen und das Reich zu retten.
Hier oben bitte einfach folgende Wörter einsetzen: Lysharia, Kanea, Remions Herzscheibe, Dysyras Seelenstein, Aelvors Hain, Dunkle Zwillinge, Goldener Tempel der ewigen Stadt, Verlorene Lande.
Was die Welt betrifft, kennt ihr euch jetzt ungefähr genauso gut aus wie wir.
Widmen wir uns jetzt dem Spiel.
Die Schriftrolle
Herzstück des Spiels ist freilich die titelgebende Schriftrolle. 1,80 Meter Länge, die um einen deutlich dünneren Stab gewickelt wurde, als wir uns erwartet hätten. Das führt dazu, dass die Rolle im aufgewickelten Zustand nur etwa 2 Zentimeter Durchmesser hat und in weiterer Folge, dass die Karte durch die Enge Umwicklung stets bestrebt ist, sich genau in diesen Zustand zurückzuversetzen. Kurz gesagt: Wir müssen am Tisch mehrere schwere Gegenstände auf die Rolle stellen, damit sie sich nicht sofort wieder komplett zusammenrollt. Da wäre ein Zubehör (eine Art Keil für die eine Seite und ein kleiner Briefbeschwerer für die andere) nett und eleganter gewesen, aber so lösen wir das Problem eben mit Dingen, die wir daheim herumstehen haben.
Ein weiteres Problem mit der (und das kann man nicht oft genug sagen, wirklich sehr schön gestalteten und bedruckten) Schriftrolle ist genau jener elegante Druck. Die goldene Farbe, die hier so verwendet wird, wie anderswo schwarze Tinte, führt durch ihre spiegelnde Eigenschaft dazu, dass man sich zur Betrachtung schon einen sehr speziellen Winkel aussuchen muss, damit die goldenen Linien nicht spiegeln und der Kontrast dadurch ein Absuchen der Karte deutlich erschwert.
Und das gestaltet sich trotz beigelegter Lupe aufgrund der Kleinteiligkeit des Motivs ohnehin schon nicht ganz so leicht.
Die Rätsel
„Nicht ganz so leicht“ trifft auch auf die Rätsel zu. Diese reichen nämlich von sehr eindeutig bis „Aha. Naja…“, selbst nachdem man die Auflösung im Lösungsbuch nachgesehen hat.
„In der Krone der Welt sitzt ein falscher Zacken“ soll also eine von vielen Königsfiguren sein, die entlang einer Mauer stehen und die in eine andere Richtung sieht? Ähm,.. ok?
Dazu kommt, dass manche Rätsel bereits Teile des nächsten Abschnitts der Rolle betreffen, den man eigentlich noch gar nicht „freigeschaltet“ hat. Warum das möglich ist, weiß das Spiel nicht unbedingt logisch zu erklären. Das erweitert den Suchradius also zusätzlich und lässt uns in viel zu viele Dinge im Bild mögliche Lösungen hineininterpretieren. Das bremst das Spiel und lässt unsere Blicke manchmal doppelt ratlos über die Karte schweifen.
Das Spiel rundherum
Der für uns größte Spielspaß-Bremsklotz war aber das rollenspielartige Spiel, das um diese Such- und Rätselmechanik herum gebaut wurde. Jeder Spieler spielt einen von vier Helden, die besondere Eigenschaften haben, die sich positiv auswirken, wenn wir ein Rätsel der entsprechenden Kategorie (Tatendrang, Zusammenhalt, Gerissenheit, Arkane Meisterschaft) lösen. Wir setzen Heldenmarker auf Rätsel im Buch, von denen wir glauben, sie lösen zu können. Dann gibt es Ausdauer-Marker, wir sammeln Erfolgsmarker und Vorsprungsmarker. Das alles steuert unsere Punkte, wann wir die Karte weiter aufrollen dürfen und kann auch dazu führen, dass wir das Spiel verlieren.
Leider ist das alles doch etwas unnötig komplex geraten. Man hätte sicher zumindest die Hälfte dieser Mechaniken zugunsten eines leichteren Einstiegs und eines flüssigeren Spielerlebnisses streichen können. Es muss ja nicht zu simpel sein, aber ein bisschen MicroMacro hätte dem Spiel schon gut getan.
Spieletester
Fazit
Der Star von Die Schriftrolle der Geheimnisse ist sicher besagte Schriftrolle. Die Mittelalter-Illustrationen, in funkelndem Gold bedruckt, sind, so wie das restliche Material (die schön gestalteten Anleitungs-, Lösungs-, und Charakterheftchen), ein echter Hingucker.
Leider verrennt sich das Spiel aber in einer unnötig komplexen Spielmechanik und setzt uns Rätsel vor, die in Schwierigkeit und Logik zu sehr schwanken.
Geduldige Mittelalter-Fantasy-Rätsel-Fans können einen Blick riskieren, sollten sich aber darauf einstellen, dass es eine Zeit braucht, um sich in die Mechanik des Spiels einzuarbeiten, und dass sich die Suche auf der Rolle, sowohl in optischer als auch in rätseltechnischer Hinsicht, teilweise als recht ermüdend erweisen kann.
Schade eigentlich.
Plus
- Wunderschön gestaltetes Spielmaterial
Minus
- Spiel unnötig komplex
- Rätsel nicht immer logisch
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Details
- Schriftrolle/Karte von Lysharia (1,80 m lang)
- 1 Rätselbuch
- 1 Spielanleitung mit Lösungsbuch
- 4 Heldenbücher
- 72 Marker
- 1 Stoffbeutel
- 1 Lupe
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