Naufragos: Die Schiffbrüchigen

Irgendwann zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Irgendwo in den Weiten der Weltmeere. Ein stolzes Segelschiff ist zu seiner letzten großen Fahrt aufgebrochen. Im Lauf der Jahre hatte es gemeinsam mit seiner Besatzung vielen Unwettern getrotzt, doch der letzte Sturm war zu gewaltig, trieb es auf das einer kleinen Insel vorgelagerte tückische Riff und ließ es dort zerbersten. Viele Seemänner fanden so ihr nasses Grab.
Leider warst auch du mit an Bord! Doch das Schicksal hat es gut mit dir gemeint und mit letzter Kraft erreichst du den rettenden Sandstrand, der die Insel – dein neues Zuhause! - umsäumt.

Die Insel
Naufrágos liefert drei Spielpläne, aus denen sich das kleine Eiland zusammensetzt und die dir (gemeinsam mit bis zu drei weiteren Schiffbrüchigen) dabei helfen werden, dich an diesem fremden Ort einzurichten und Maßnahmen zu ergreifen, um vielleicht von einem vorbeifahrendem Schiff entdeckt und gerettet zu werden. Der Hauptplan zeigt die unmittelbare Umgebung des kleinen Küstenstreifens, an dem ihr gestrandet seid und der Lagerplatz als kleinere Einheit jenen Standort, den ihr euch als provisorischen Unterstand angelegt habt. Und dann gibt es da noch den Erkundungsplan, der dir einen Überblick über die ganze Insel bietet.

Die Hilfsmittel
Jedem Schiffbrüchigen sind zwei Aktionsspielsteine mitgegeben, die auf vielfältige Art und Weise auf den Spielplänen zum Einsatz gelangen und durch die dessen Besitzer diverse Handlungen ausführen und Aktivitäten setzen können, die stets nur ein Ziel haben (sollten!): dem Allgemeinwohl zu dienen! Denn um dem Inseldasein erfolgreich zu entkommen, ist die Zusammenarbeit aller Gestrandeten oberstes Gebot!

Der effektive Einsatz von Aktionsspielsteinen geht immer mit dem Verlust von Energiepunkten einher, die jedoch nicht in großer Menge zur Verfügung stehen. Auf diese Weise verlorene Energiepunkte können durch Ausruhen und Nahrungsaufnahme zurückgewonnen werden – durch Tätigkeiten also, die man nicht unbedingt als produktiv bezeichnen würde. Hier liegt schon eine der Kernaufgaben verborgen, der sich die Gruppe immer wieder stellen muss: Wann gilt es zu ruhen und wann gilt es Höchstleistungen zu erbringen? Die erfolgreiche Bewältigung jeder Aufgabe bedeutet Vorbereitung und Planung.

Der Hauptplan
Der Hauptplan bietet jene Vielzahl von Aktionen, die die Schiffbrüchigen durch die Platzierung ihrer Spielsteine in Gang bringen können. Die meisten dieser Aktionen dienen dem unmittelbaren Überleben der Gruppe: Früchte sammeln, Holz fällen, Lagerfeuer entzünden, am Strand nach Treibgut suchen, eine feste Wohnmöglichkeit errichten oder die schon bestehende weiter ausbauen, sich zum Lagerplatz begeben, ein großes Signalfeuer errichten, mit Steinen Hilferufzeichen im Sand auslegen und Erkundungen planen.

Der Lagerplatz
Begibt man sich vom Hauptplan aus auf den Lagerplatz, kann man eine der dort ausliegenden Lagerkarten nutzen. Diese bieten einige hilfreiche Aktionen wie Ausschau halten, Fischfang, Erkundungen planen und ähnliche nützliche Dinge.

Bis hierher handelt es sich um klassisches Worker Placement. Wie bei Spielen dieser Art üblich würde man stets gerne mehr Aktionen durchführen als man Spielsteine oder Energiepunkte zur Verfügung hat und ist permanent darum bemüht, das Beste aus den angebotenen Alternativen herauszuholen. Heutzutage wartet eine Vielzahl von Brettspielen mit diesen Mechanismen auf und obwohl Náufragos diese Abläufe thematisch sehr stimmig einbettet, handelt es sich letzten Endes doch um einen alten Hut.
Und jetzt kommt das große ABER: Sobald sich ein Mitglied oder eine Gruppe von Schiffbrüchigen auf den Weg macht, um die Insel zu erforschen, wechselt das Geschehen auf den Erkundungsplan! Damit wandelt sich das Spiel-Erlebnis vollständig und ab diesem Zeitpunkt finden die Spieler nicht wieder so schnell aus dem Staunen heraus – denn die weiteren Geschehnisse gleichen denen eines Abenteuer-Spielbuches! Und jedes neue Kapitel, das darin aufgeschlagen wird, hat ganz massiven Einfluss auf die Möglichkeiten, die den Schiffbrüchigen von nun an auf dem Hauptplan und dem Lagerplatz zur Verfügung stehen!


Der Erkundungsplan
Der Erkundungsplan bildet die komplette Insel aus der Vogelperspektive ab. Auf dem kleinen Eiland ist ein schmaler Pfad vorgezeichnet, der anfangs entlang des Küstenstreifens verläuft, dann in die dichte Dschungelregion abzweigt und schließlich im Hochland – dem Herz der Insel – am Plateau des die Insel überragenden Berges endet. Für jeden Schritt, den die Gestrandeten auf diesem Pfad zurücklegen möchten, gilt es eine Plotkarte aus dem der jeweiligen Landschaft zugeordneten Erkundungsdeck zu ziehen (Küste, Hinterland und Hochland). Jede dieser Karten enthält eine hübsche Abbildung, die sich so auch in wissenschaftlichen Büchern des 18. Jahrhunderts wiederfinden könnte, einen Kursivtext, der für die richtige Stimmung sorgt sowie den eigentlichen Kartentext, der von den an der aktuellen Erkundung teilnehmenden Spielern ausgeführt werden muss. Viele Karten verlangen dem Spieler, der sie gezogen hat, eine Entscheidung ab, andere Karten wiederum lassen die ganze Gruppe von Schiffbrüchigen darüber beraten. Die meisten Entscheidungen führen dazu, dass – aus einem Stapel von weit über 100 aufsteigend nummerierten Plotkarten, die anfangs nicht im Spiel sind – bestimmte Karten ausgewählt und in die bereits im Spiel befindlichen Erkundungsdecks eingemischt werden.

So kann es im Verlauf des Spieles zum Beispiel dazu kommen, dass bei einer Erkundung eine Ziegenfährte im Sand entdeckt wird. Durch die erst aufgrund dieser Entdeckung ins Spiel gelangenden Karten wird es im weiteren Spielverlauf vielleicht dazu kommen, dass die Schiffbrüchigen die Ziege plötzlich irgendwo meckern hören, diesem Geräusch nachgehen und die Ziege einfangen. Daraufhin kann sie geschlachtet (das gibt den Einmalertrag einer ordentlichen Portion Nahrung) oder ins Lager mitgenommen und dort als Haustier gehalten werden. Die zu diesem Zweck auf dem Lagerplatz ausgelegte Karte gibt von nun an in jeder Runde die zusätzlich auswählbare Aktion, die Ziege zu melken und somit über permanentes Nahrungsaufkommen zu verfügen. Und dies alles hätte sich nicht ereignet, wäre die Fährte der Ziege nicht entdeckt worden. In dieser Weise verästelt und verschachtelt sich die weitere Story der Gestrandeten viele dutzend Male. Und in keinem Spiel wird sich der komplette Handlungsverlauf einer vorangegangenen Partie wiederholen!

Die Plotkarten – und auch die bereits anfangs in den Erkundungsdecks ausliegenden sind nicht in jedem Spiel dieselben – machen den wahren Reiz von Náufragos aus! Bleibt man beim vorher entworfenen Bild des Abenteuerspielbuches, so stellen sie die einzelnen Kapitel eines solchen Buches dar, erzählen jede für sich eine kleine Geschichte und entfalten im weiteren Spielverlauf einen unverwechselbaren Handlungsbogen, der in dieser Form kein zweites Mal erzählt werden wird. In fast magischer Weise hat dies alles noch dazu unmittelbaren Einfluss auf den Handlungsspielraum der Schiffbrüchigen und verschmilzt überaus harmonisch mit der sich auf den anderen beiden Spielplänen abspielenden Worker Placement-Mechanik. Phantastisch!

Die Rettung
Das Ziel der Schiffbrüchigen ist es, innerhalb einer vorgegebenen Anzahl von Spielrunden ein vorbeifahrendes Schiff auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Dazu muss mindestens einer der Spieler das Hochland der Insel erreichen, dort nach einem Schiff Ausschau halten und nach Möglichkeit durch das Entzünden eines großen Signalfeuers die Aufmerksamkeit der Besatzung auf sich ziehen! Je rascher dabei der Vorstoß ins Hochland gelingt, desto größer sind die Chancen, gerettet zu werden.

Spieletester

20.07.2013

Fazit

Ich habe mich in das Spiel und dessen Mechanik hoffnungslos verliebt! Ich mag kommunikationsfreudige Kooperationsspiele, ich mag das Robinson Crusoe-Thema und ich mag das stimmig umgesetzte Flair der Spielbretter sowie die erdige Atmosphäre, die durch die Kartentexte freigesetzt wird. Spielt man Náufragos, fühlt man sich zweieinhalb, drei Stunden lang tatsächlich auf eine einsame Insel versetzt, nur mit dem Allernötigsten ausgerüstet und zum Überleben verdammt. Aus Gründen der dringend notwendigen Objektivität werde ich mich nun deshalb mit jenen Dingen beschäftigen, die nicht ganz optimal gelöst scheinen – und die gibt es nun mal in jedem Spiel.

Das Spielmaterial
Aus unerfindlichen Gründen besteht der Hauptplan aus zwei Spielbrettern, die einfach aneinander gelegt werden. Diese Spielfläche ist daher etwas instabil geraten und ich frage mich, weshalb man nicht nur einen einzigen Spielplan liefern konnte. Die Pläne selbst sind ebenso wie die Papp-Marker von guter Qualität, die Zahl der mitgelieferten Karten ist beeindruckend hoch. Die Aktionsspielsteine sowie die Klötzchen (die Nahrung und Holz repräsentieren) sind jedoch allesamt aus Plastik. Leider müssen die mitgelieferten weißen Klötzchen auch zur Darstellung verderblicher Nahrung herhalten, und das dient auch nicht unbedingt der atmosphärischen Verdichtung.

Der Alpha-Spieler
Bei kommunikativen Koop-Spielen besteht immer die große Gefahr, dass sich ein sogenannter "Alpha-Spieler" des Handlungsverlaufes bemächtigt, mit der restlichen Gruppe herumkommandiert, Spieler A an den Ort B schickt, Spieler C an den Ort D und so weiter und so fort. Dieser Alpha-Spieler genießt das Spiel und macht es für sich zum perfekten Erlebnis. Für alle anderen Teilnehmer jedoch entwickelt sich das Spiel dadurch zum absoluten Horror-Trip. Die Gefahr besteht auch im vorliegenden Fall. Náufragos wartet jedoch meiner Ansicht nach ganz bewusst mit einigen Mechanismen auf, um einem Alpha-Spieler das Leben so schwer wie möglich zu machen. Es bleibt allerdings die Frage, ob man ein solches Spiel-Erlebnis wirklich haben will! Unter dem Strich verhält es sich bei Náufragos genauso wie bei allen Spielen gleicher Machart: die Teilnehmer sollten alle gut miteinander können, weder zu introvertiert noch zu bestimmend und schon gar nicht egoistisch sein. Andererseits: Wer hätte es schon in der Hand, einer kleinen Gruppe Schiffbrüchiger anzugehören und sich aussuchen zu können, ob deren Charaktereigenschaften mit den eigenen kompatibel sind?

Das Würfelglück
Die beiden sechsseitigen Würfel sind recht häufig in Gebrauch. Deshalb spielt mitunter auch das Glück eine nicht unbedeutende Rolle. Vor allem während ausgedehnter Erkundungstouren, bei denen die Gefahr besteht, nicht mehr so rasch ins Lager zurückzufinden, kann ein schlechter Würfelwurf den Spielverlauf drehen. Doch zumeist haben es die Schiffbrüchigen selbst in der Hand, dieses Risiko zu minimieren – indem sie ihre Erkundungsausflüge eben rechtzeitig abbrechen oder einfach darauf verzichten, das Schicksal herauszufordern. Stehen die Gestrandeten vor der Versuchung, gefährliche Wagnisse einzugehen, haben sie zumeist die Wahl, sich stattdessen mit harmloseren Unternehmungen zu befassen.

Die Berichtspunkte
Ein klassisches Kooperationsspiel verliert oder gewinnt man gemeinsam. Das ist bei Náufragos nur bedingt der Fall! Verloren wird zwar gemeinsam, sollte jedoch die Gruppe von einem Schiff entdeckt und gerettet werden, gibt es unter den Siegern quasi einen Über-Sieger: nämlich jenen, der während der Abenteuer auf der Insel die meisten Berichtspunkte gesammelt hat. Diese Person wird ihre Memoiren veröffentlichen und durch ihre Erzählungen weltweite Berühmtheit erlangen. Diese Systematik erscheint dem Spiel ein wenig mutwillig übergestülpt und ist eigentlich auch überflüssig. Der Kompromiss wäre gewesen, Spieler für besonders gruppendienliche Einzelleistungen mit solchen Berichtspunkten zu belohnen; leider werden diese Punkte jedoch ziemlich willkürlich durch Ausführung verschiedener Aktionen und manche Erkundungskarten generiert. Hier spielt das Glück eine zu bedeutende Rolle.

Ein letzter Blick zurück zur Insel Obwohl diese Besprechung doch recht umfangreich ausgefallen ist, habe ich darin einige Handlungsmöglichkeiten unerwähnt gelassen. Der den Schiffbrüchigen eingeräumte Freiraum, das Spiel nach ihren Wünschen zu gestalten, ist jedenfalls größer als oben beschrieben. Wären Spieltiefe und Feeling die einzig ausschlaggebenden Kriterien, gäbe es für das Inselabenteuer die Höchstnote. Angesichts der aufgelisteten – allesamt jedoch ganz locker verkraftbaren – Minuspunkte schafft Náufragos diese Top-Benotung nicht ganz; eine faire Bewertung wäre wohl 8,5 von 10 möglichen Punkten. Da für mich persönlich jedoch Spieltiefe und Atmosphäre sehr wohl über allen anderen Komponenten stehen (natürlich nur, solange die Spielmechanik auch tatsächlich funktioniert), runde ich auf Endnote 9 auf!
Redaktionelle Wertung:

Plus

  • die Plotkarten erzählen eine epische Gesichte (und jedes Mal eine andere!)
  • dichtes atmosphärisches Erlebnis

Minus

  • Die "Berichtspunkte" funktionieren nicht und kippen das kooperative Erlebnis

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Besucherkommentare

Christian Hrdlicka | 10.11.2013

Nach mittlerweile drei Partien kann ich nur sagen: Geniales Spiel! Naufragos besticht durch eine atmosphärische Dichte, die man bei einem Brettspiel erst einmal finden muss. Der Schwierigkeitsgrad ist happig, zumindest wenn lediglich zwei Schiffbrüchige auf der Insel landen. Da ist das nackte Überleben bereits ein Erfolg, auch wenn beide Spieler bedingungslos zusammenspielen. Naufragos ist jedoch eines der wenigen Spiele, wo es selbst einem ehrgezigen Spieler wie meinereiner nunmal ist, kaum etwas ausmacht, wenn man scheitert. Wie man seit Robinson Crusoe weiss, ist es nun mal nicht so leicht, von einer einsamen Insel wegzukommen.

Daniel | 19.09.2016

Sehr schöne Rezi, vielen Dank! Bei Cliquenabend.de wurde Naufragos ähnlich positiv bewertet: http://www.cliquenabend.de/spiele/885200-N-ufragos.html#Wertungen Hoffe, ich kann es bald mal spielen!

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 1 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 150 Minuten
Preis: 40,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Lookout Spiele
Grafiker: Siscu Bellido
Zubehör:

Karten:
127 Plotkarten
    5 Lagerkarten 
  12 Charakterkarten
  21 Ereigniskarten
  30 Treibgutkarten
  39 Erkundungskarten
Spielsteine:
16 Figurensteine (je 4/4 Farben) 
  8 Klötzchen (je 2/4 Farben)
16 schwarze Klötzchen
24 weiße Klötzchen
16 Essensmarker 
16 Holzmarker 
  1 Startspielerstein
Papp-Marker
39 Essensplättchen
24 Sammelplättchen
22 weitere Plättchen
Sonstiges:
4 Spielplanteile 
2 Würfel (sechsseitig)
1 Regelheft (deutsch, 12 Seiten)

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