Das naheliegendste Beispiel: Ich. Zum Beweis liegt die letzte Erweiterung, Schrecken des Blutmeeres (Sea of Blood), noch jungfäulich-ungespielt in meinem Spieleschrank herum. (Doom ist diesem Problem durch die Tatsache, dass nach einer Erweiterung Schluss war, gottlob entgangen.)
Irgendwann ging wohl auch Fantasy Flight Games auf, dass Descent inzwischen zu einem Buchhaltersystem mit ein bisschen Monsterprügeln geworden war, und so machten sich die Autoren Adam Sadler, Daniel Lovat Clark und FFG-Nr. 2 Corey Koniecka daran, Descent wieder auf ein SPIEL zurückzustutzen. Das Ergebnis: Descent – 2nd Edition, ein Spiel, dass dem geneigten Fan schon beim Auspacken das Gefühl gibt, Kevin Wilsons Original habe seine Notwendigkeit überlebt.
An der Spielidee an und für sich hat sich selbstredend nichts geändert: Nach wie vor übernehmen 2-4 Spieler eine Heldenfigur, während Spieler 5 die Rolle des offiziellen Oberbösewichtes – im Spiel „Overlord“ genannt – übernehmen darf. Koniecka & Co. ziehen das Ganze nur etwas anders auf, und wie das aussieht, das mögen Euch die nächsten Zeilen verkünden:
Die Charaktere:
Jeder Spieler erhält die gute alte Charaktertafel mit Werten, Ausdauerpunkten und zwei speziellen Fähigkeiten. Zusätzlich aber wählt der Spieler einen Satz Karten aus, der den Charakter als Waldläufer, Ritter, Dieb oder ähnliches definiert. Dieser Kartensatz gibt Anfangsausrüstung sowie spezielle Fähigkeiten.
Die Szenarios:
Jede Quest besteht aus zwei Szenarios, die die Spieler durchspielen müssen, wobei der Erfolg oder Misserfolg aus Szenario 1 den Schwierigkeitsgrad von Szenario 2 definiert. Zudem liegt dem Spiel auch gleich eine Kampagnenregel bei, in der die Aufgabe darin besteht, seine Figur über mehrere Geschichten hinweg aufzubauen und in einem großen Finale einen fulminanten Endkampf (TM) auszufechten.
Das einzelne Szenario wird zu Beginn komplett aufgebaut und ausgestattet. Zudem erhält der Overlord Monstergruppen, die er im Startbereich platziert (also z.B. eine Gruppe aus 4 Goblins und eine Gruppe aus zwei Drachen) und mit denen er in weiterer Folge agiert. Die Monster sind nach alter Descent-Tradition erstens jeweils mit speziellen Fähigkeiten ausgestattet und werden außerdem in normale und stärkere Monster aufgeteilt.
Zudem hat unser Autorentrio erkannt, dass das Anpassen der Monsterstärke an die Spielerzahl nicht wirklich geholfen hat und ist wieder zur Doom-Idee zurückgekehrt:
Die Anzahl der Spieler definiert die Größe der Monstergruppen.
Jede Seite hat nun mit ihren Figuren eine Aufgabe zu erfüllen. So muss beispielsweise der Overlord alle Bewohner eines Dorfes eliminieren, während es die Aufgabe der Helden ist, alle Feuer im Dorf zu entzünden. Sobald eine Seite ihre Aufgabe erfüllt hat, ist das Szenario beendet. Handelte es sich um Teil 1 der Geschichte, bestimmt der Ausgang des Szenarios nun den Schwierigkeitsgrad von Szenario 2.
Der Spielzug:
Auch in Edition 2 ist die Spielreihenfolge der Helden beliebig. In seinem Zug hat jeder Held zwei Aktionspunkte, die er beliebig verbrauchen kann. Mit diesen Punkten kann man sich bewegen, angreifen, Türen öffnen, Spezialaktionen durchführen oder Ausdauerpunkte, die man für spezielle Aktionen oder für zusätzliche Bewegung verwenden kann, auffrischen.
Der Overlord seinerseits aktiviert in seinem Zug nacheinander seine Monstergruppen (also z.B. zuerst seine Goblins und dann den Drachen). Mit jeder seiner Figuren darf er nun zwei Aktionen durchführen. Einzige Einschränkung: Jedes Monster darf nur einmal angreifen.
Zudem nervt der Overlord auch hier wieder mit seinem Satz Overlord-Karten, die Fallen und andere Bösartigkeiten beinhalten. Allerdings wurde das „Bezahlungsystem“ wegrationalisiert: Die Karten geben einfach an, unter welchen Bedingungen sie ausgespielt werden dürfen, dafür gibt es auch keine „Killerkarten“ mehr.
Die Kämpfe:
Wenn man sich prügelt (und – seien wir einmal ehrlich: Wozu spielen wir sonst Spiele wie Descent, abgesehen von den fein subtil gestrickten Erzählstrukturen natürlich...) würfelt man je nach Figur und Waffe mit farbigen Würfeln. Im Nahkampf werden nur die Treffer zusammengezählt, im Fernkampf muss der Angreifer zudem noch mit auf den Würfeln angegebenen Reichweitewerten die Entfernung zum Gegner erreichen.
Im Gegensatz zu Wilson aber war unser Trio von den Verteidigungswürfen aus HeroQuest angemessen begeistert um ein solches System auch hier einzuführen:
Nach erfolgtem Angriff würfelt der Verteidiger mit speziellen Verteidigungswürfeln, und für jedes Schild wird ein Treffer wieder abgezogen.
Spieletester
Fazit
Lasst es mich so formulieren: Diese Zweite Edition hat mich ernsthaft darüber nachdenken lassen, die 10/10/10er-Wertung des Originals nachträglich runterzusetzen (keine Angst, weniger als 8 wär’s nicht geworden.) Ich habe mich letztendlich dagegen entschieden, da die Rezension von Descent eben dem Stand von 2005 entspricht. Und es ist ja nicht so, dass sich ein von mir heiliggesprochenes Spiel bei genauerer Betrachtung als fulminanten Gurke erweist – Hallo, Arkham Horror. Es zeigt aber wohl, wie sehr diese Neufassung das Original überflügelte.
Und was hat das neue Autorentrio jetzt besser gemacht als Kevin Wilson im Alleingang?
Nun, kurz gesagt… ALLES:
Regeltransparenz:
Ich habe es bereits erwähnt, ich weiß, aber ich reite gerne weiter darauf herum: Die ständige Erweiterei hat Descent spätestens ab der Einführung der Halbaktionen zum regeltechnischen Kraftakt gemacht, der den Drang, alle Erweiterungen wieder hinauszuwerfen und nur noch die Boxen Wege zum Ruhm und Schrecken des Blutmeeres mit der Grundausstattung zu kombinieren immer attraktiver machte. Unser Autorentrio sah das offenbar ähnlich, hat das Wilsonsche Aktionssystem total über den Haufen geworfen und zielsicher das althergebrachte „2 Aktionen“-System eingeführt. Das Ergebnis ist einfacher, leichtfüßiger und in den jeweiligen Spielsituationen wesentlich flexibler. Ich sage es immer wieder gerne: Dass manche Ideen immer wieder kommen hat den einfachen und völlig unromantischen Grund, dass sie FUNKTIONIEREN!!!
Kürzere und schönere Dungeons:
Für einen Dungeon der Ersten Edition musste man schon mal 3-4 Stunden einplanen (Fanszenarios aus dem Internet nicht mitgerechnet; die konnten schon mal die Ausmaße einer halben Nacht annehmen… oder die Sache war nach 10 Minuten gelaufen, weil man dem guten alten Igor aus den Dork Tower-Comics Ehre machte: „In meinem Szenario gibt es 7 Orcs, 5 Gargoyle und 2 Drachen. Und im zweiten Raum dann…“). Jetzt prügelt sich der geneigte Spieler schon mal innerhalb von 45 Minuten durch einen Dungeon – die übrigens auch nicht immer Dungeons, sondern auch Dörfer oder Schlösser sind. Und da die 2te Edition immer 2 Dungeons kombiniert, KANN man so eine komplette Quest in 90-120 Partien beenden. Zudem leitet der Aufbau der Dungeons auch gleich zum nächsten Punkt:
Spielleiter spielt mit:
Kevin Wilsons Regeln, mittels Karten den Spielleiter mehr einzubinden, waren löblich, haben funktioniert und brachten auch als Overlord Laune, doch die 2te Edition geht einen noch viel entscheidenderen Schritt weiter, indem sie dem Bösewicht eine AUFGABE gibt, die er zu erfüllen hat. Somit ergibt sich hier das angenehme Gefühl, dass nun zwei Parteien gegeneinander antreten, und der Overlord ist nun endgültig beim Status des „Mitspielers“ angekommen.
Übersichtlichkeit:
Es ist ja schön, wenn jedes Monster, das dem Helden entgegen klettert, seine Spezifika hat und damit auf besonders individuelle Art und Weise auf die Nerven geht. Weniger schön ist es, wenn man diese aus mehrere Listen diverser Anleitungen (oder aus einen dicken Almanach, wenn man Wege zum Ruhm besitzt) zusammentragen muss, um jetzt zu wissen, was GENAU der Formwandler jetzt eigentlich kann. Hier hat man den eigentlich naheliegenden Schritt gemacht und die Fähigkeiten des Monsters AUF DIE MONSTERKARTE geschrieben!!! Danke, Fantasy Flight. Ich schätze mal, das kollektive Spieleraufatmen hat man bis nach Roseville, Minnesota, gehört.
Spielbarkeit:
Das Szenario wird aufgebaut und abgespielt. Das hat zwei Vorteile: Erstens ist das ständige Nachbauen weggefallen, zweitens aber (und das halte ich für viel wichtiger) können die Helden gezielter vorgehen, um ihr Ziel zu erreichen. Sicher, es verschwindet ein wenig der „was lauert wohl hinter der Türe“-Effekt, dafür kann man sich jetzt eine ordentliche Strategie oder Taktik zurechtlegen. Ob diese Planung im Einzelfall nur das Ersetzen des Zufalls durch den Irrtum ist, das zeigt die jeweilige Spielsituation.
Was den Kampf angeht: Für die (Wieder-)Einführung der Verteidigungswürfel bin ich versucht, Koniecka und seinem Team höchstpersönlich ein Dankesschreiben zu schicken. So gerne ich das alte Descent auch hatte, aber das HeroQuest‘sche Gegenwürfelsystem habe ich immer schon schmerzlich vermisst.
Womit ich hiermit beim Abspann angekommen wäre:
Es ist ein bisschen schade, wenn man eine komplette Edition eines Spieles mit den Ausmaßen von Descent einmotten muss, aber es ist einfach so, dass dass das Original mit dieser 2ten Edition seine Notwendigkeit (und damit sich selbst) überlebt hat. Die Ironie dabei ist, dass Descent ja ein HeroQuest war, das sein Spielsystem der neuen Zeit angepasst hat, nur um 8 Jahre später an die neuen Spielerbedürfnisse - wie Regeleinfachheit oder angenehmerer Spiellänge - von sich selbst „wegangepasst“ zu werden. Naja, was soll‘s:
Der König ist tot. Lang lebe der König…
Das englische Original ist bei Fantasy Flight Games erschienen.
Plus
Minus
Besucherkommentare
Die zweite Edition von DESCENT ist zweifellos ganz großes Kino! Das Spielprinzip wurde intelligent verändert und die Mechanismen dem Grundbedürfnis - der Spielbarkeit - untergeordnet. Gratulation!
Einige Szenarien sind zwar leider sehr unausgewogen ausgefallen, aber der sensationell gut designte Kampagnenmodus verzeiht den einen oder anderen Dungeon, in dem es eigentlich immer nur denselben Sieger geben kann.
Ich fürchte, dass man leider auch bei der zweiten Edition ein wenig vor einer Flut an Erweiterungen zittern muss ... aber das ist halt bei FFG ohnehin ein altbekanntes Phänomen.
Das Anpassen der Monstermenge an die Spielerzahl (wie bei Doom) ist aber eine ganz erhebliche Verschlechterung, dann das führte bei Doom dazu, daß das Spiel von 3-4 Spielern gegen einen guten Overlord sinnlos wurde: Stets wurden alle Monster konsequent auf die schwächsten Marines konzentriert und so die Spieler schnell niedergemacht. Doom verstaubt deshalb seit langem bei uns im Regal.
Die Monsterwertanpassung bei Descent 1 war keine schlechte Idee, doch sie erfolgte mit der geringen Erhöhung der Lebenspunkte zu lieblos.
? Also zumindest laut Anleitung der Begleit-App legt man die entsprechenden Dungeon-Teile erst NACH öffnen der Türe auf, was auch wesentlich abenteuerlicher ist. Wäre vorher schon alles aufgebaut, würde das eine Menge Spaß nehmen, die ganze Forscher- Entdecker Seite würde flöten gehen. Sollte das wirklich so sein, werden wir es anders spielen und die Bodenplatten, Monster, etc. erst beim öffnen einer Türe auflegen, alles andere wäre grausame Verschwendung. Leider warte ich noch verzweifelt auf das Starter-Set.
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Details
39 Figuren
9 Würfel
7 Türen mit Plastikstandfüßen
8 Heldentafeln
236 Karten
205 Marker
1 Anleitung
1 Questenbuch
1 Block
Statistik
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