Fliegende Zeilen

Die Zeit verfliegt und die Zeilen, sie tun es ihr gleich (Christoph Puhl)

Wer der Sprache nicht Herr ist, wem sie nicht tugendhafter Freund und Gönner ist, wer den Abgrund sieht, wenn sich ein Gebirge steinig-unförmiger Worte vor ihm auftut, der mag das Spiel samt Rezension an dieser Stelle bereits getrost beiseite legen. Wer aber ein gar lustig Gemüt sein eigen nennet, wer Worte federgleich gekonnt durch die vorwärtstreibenden Winde zu manövrieren in der Lage ist, dem sei es nicht verwehrt sich gewahr zu werden, ruhmreich „Hosianna“ zu rufen, da der Suche nach dem heiligen Gral des Wort-Spiels hier ihr ruhmreiches Ende zu nehmen in Aussicht gestellt ist.

Nicht also kürren und schorren die Ratzen (Abraham a Santa Clara)

Zu Beginn des Spiels werden an alle Spieler Bewertungskarten verteilt. Derer jeweils eine weniger als teilnehmende Spieler sich um den Tisch eingefunden haben. Jeder Spieler erhält einen eigenen Satz in seiner Spielerfarbe mit den Ziffern eins bis „eins weniger als Teilnehmer“. Zudem kommt ein Würfel ins Spiel, vier oder fünf Aufgabenkarten sowie das Versverzeichnis, das insgesamt 216 „poetische Zeilen“, deren Autoren und ein Quellenverzeichnis enthält. Jeder Spieler erhält weiters einen Notizblock, auf dem er nicht nur seine künftigen Machwerke niederschreiben kann, sondern auch die eingeheimsten Punkte. Zudem markiert er seine Spielerfarbe, in dem er das entsprechende farbliche Quadrat am Zettel einringelt (für die Deutschen LeserInnen: einkreist).

Etwas Wasser, etwas Pferdedung (Ana Blandiana)

Die erste Spielrunde wird von dem Letztgeborenen eröffnet, danach geht seine Funktion reihum. Eben diese ist es, in der „Auswahlphase“ herauszufinden, welche Aufgabe auf die wortbegabte Runde zukommt. Zu diesem Behufe wirft er den Würfel vier Mal. Der erste Wurf bestimmt, in welcher Tonalität das folgende Produkt zu gestalten ist: Insgesamt gibt es 20 „leichte“ Umformungsaufgaben und fünf schwere. Zu den leichten, beispielsweise, zählt die Wiedergabe als Märchen, die Umarbeitung in einen Doktortitel oder eine Boulevard-Schlagzeile oder schlicht das Finden eines passenden Reimes. Zu den schweren Aufgaben zählt die Verfassung einer Abhandlung zu einem aktuellen Thema unter Einbeziehung des folgenden Zitates oder die Darbietung einer Stand-Up-Comedy-Performance. Die übrigen drei Würfe werden dazu verwendet, eine dreistellige Zahl zu erbauen, die folglich im Versverzeichnis zu einem Zitat leitet. Denn in jenem Verzeichnis finden sich zu allen 216 Würfelwurf-Kombinationsmöglichkeiten Zitate aus bekannten und unbekannten Werken ebensolcher Autoren und Poeten. Das so ausfindig gemachte Zitat bildet nun in Kombination mit der Darbietungsart die Aufgabe für die zweite Phase:

Mal schläft das Hirn, mal ist es wach (Rolf Bossert)

Sobald alle das Zitat vernommen haben – wir haben es in unseren Testrunden auch noch auf dem Schreibblock vermerkt, um es nicht aus den Augen zu verlieren – wird der analoge Zeitmesser umgedreht und das innewohnende Substrat rieselt 90 Sekunden lang der Schwerkraft folgend Richtung Erdkern (wird jedoch nach etwa zwei Zentimetern von einer schützenden Glaswand am weiteren Vordringen gehindert). In dieser Zeit obliegt es den Spielern die Aufgabe zu vollbringen: Dabei muss das Zitat nicht wörtlich in das Ergebnis übertragen werden. Ja, es muss nicht einmal ansatzweise vorkommen, so die Spieler dennoch einen Zusammenhang zum ursprünglichen Zitat herstellen können. Einzig wichtig ist: Das fabrizierte Schriftstück hat möglichst witzig zu sein, kreativ, ansprechend und überzeugend. Schließlich gilt es die Mitspieler hinzureißen, eine hohe Punkteanzahl auf die Komposition zu vergeben. Und wie funktioniert das?

Wie ein einziger unermesslicher Käse
(Alfred Brendel)

Sobald die Zeit verstrichen, besser durch die Engstelle des beigepackten Minutenglases verrieselt ist, werden die Schreibutensilien beiseite gelegt und jeder beginnt reihum sein Werk zu deklamieren. Dabei können von den Mitspielern durchaus Nachfragen und Anmerkungen kommen. Auch Erläuterungen des Deklamierenden sind zulässig. Jedoch sei’s angemerkt: Wenn ein Text einer Erklärung bedarf, hat er sich hiermit schon für den Erhalt nur weniger Punkte qualifiziert. In dieser Bewertungsphase wird schließlich jedes der Traktate evaluiert und jeder Spieler verteilt an alle übrigen verdeckt seine Punkte: Bei vier Spielern vergibt er also drei Punkte an jenen Kollegen, der den für das eigene Gemüt eingängigsten Text schrob, zwei für das Mittelmaß und einen an jenen Spieler, der in dieser Runde die schlechteste Leistung zu Papier brachte. Die Anzahl aller erhaltener Punkte wird von jedermann für sich notiert und die Bewertungskarten folglich retourniert, ehe es weiter in die nächste Runde geht. Nach einer zuvor vereinbarten Rundenanzahl endet das Spiel. Wer die meisten Punkte bei sich vereinen konnte, geht als poetisch ruhmreicher König vom Schlachtfeld der Worte.

Mit dem Hörohr zu hören (W.G. Sebald)

So einfach und doch so brillant, das ist unser einstimmiger Tenor. Dennoch gibt es das eine oder andere zu bemäkeln. So sind 20 unterschiedliche Vortragsarten schnell durchgespielt und sie beginnen sich aufgrund des Würfeldogmas schell zu wiederholen. Man hat nicht nur das Gefühl, dass es sehr wenige Aufgaben sind – es ist ein Fakt. Dabei könnte man gerade hier aus dem Vollen schöpfen, gibt es doch schier unendlich viele Arten Worte ans Gehör zu bringen. Vielleicht findet sich eines Tages ja ein Erweiterungspack an Aufgaben im Verlagsprogramm oder eine Internetseite zum Spiel, auf der Spieler ihre Vorschläge einreichen können. Weiters fällt uns irritierend auf, dass die Anleitung zwar die Eventualität beherbergt, dass ein Spieler in einer Runde seinem Gehirn keine Leistung abringen kann und den Zettel so in seiner Leere gewähren lässt, indem sie besagt, dass er keine Punkte erhält. Doch sie spricht nicht über ein dabei sehr mächtiges Detail: Denn zu fragen ist, ob an die übrigen Spieler dann die Zahlenwerte bei eins oder bei zwei beginnend verteilt werden. Die Auswahl der Zitate ist durchaus herausfordernd. Zum Teil sind sie eingängig, zum Teil scheinen sie nur bruchstückhaft dem Werk entrissen. Teilweise gar sind die Nebelschwaden der Unwissenheit selbst mit Hilfe des Internet nicht zu durchdringen und es zeigt sich, dass Poeten eines lange vergangenen Zeitalters des Gebrauchs von Worten mächtig waren, die heute nicht einmal mehr Larry Page kennt. Doch was auf den ersten Blick erschreckend scheint, enthüllt doch auf den zweiten seinen Reiz: Denn kennt niemand den wahren Sinn, ist das weite Feld der Interpretation nur durch die Morgensonne am Horizont begrenzt und das Ergebnis liegt irgendwo ruhmreich glänzend darauf.

Flamme bin ich sicherlich! (Friedrich Nietzsche)

Das Spiel besticht nicht nur durch seine Einfachheit, sondern auch optisch und sogar haptisch ist es ein wahrer Schmaus für Aug‘ und Seele. Die Verarbeitung ist hochwertig wie heute selten gekannt, die Optik schlicht und dennoch – oder gerade ob dessen – rasend erotisch (im antik philosophischen Sinn).

Blago bung blago bung (Hugo Ball) – oder auch:

Spieletester

11.01.2015

Fazit

Die Simplizität, die innert 90 Sekunden ihre trojanischen Hüllen fallen lässt und sich in ihrer herrlichsten Komplexität vor dem Spieler windet, um sich ihm zu unterwerfen oder auch sich ihm zu entziehen suchend, macht das Spiel zu einem unfassbaren Kleinod, einem Juwel sprachbegeisterter Wortwender und Syntaxveredler. Schade nur um die geringe Aufgabenanzahl, die den sonst schier unstillbaren Wiederspielreiz doch deutlich in die Enge treibt.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 3 bis 6
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 20 Minuten
Preis: 22,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2014
Verlag: moses. Verlag
Grafiker: Nicole Köhring
Genre: Worte
Zubehör:

1 Vers-Verzeichnis 30 Bewertungskarten 6 Notizblöcke 5 Aufgabenkarten 1 Würfel 1 Sanduhr

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