Hostage Negotiator

Um fünf Uhr früh riss mich das Klingeln meines Telefons, das fast so groß war wie mein winziges Apartment in Downtown Manhattan, endgültig aus meinen unruhigen Träumen. Lieutenant Theo Kojak teilte mir mit knappen Worten mit, dass mein Urlaub soeben zu Ende gegangen war. Geiselnahme in einem Regierungsgebäude. Um fünf Uhr morgens? Ach, was soll’s… Das taktische Einsatzkommando war jedenfalls schon vor Ort und jetzt brauchte es nur noch einen erfahrenen Polizeipsychologen, der die Sache auf dem Verhandlungswege rasch zu einem guten Ende brachte.
Offenbar nahm man den Geiselnehmer ernst, sonst hätte man nicht mich angerufen sondern sich mit Detective Bobby Crocker als Verhandlungsführer zufriedengegeben. Mühsam kroch ich aus dem Bett … Hätte ich das geahnt, ich hätte mir gestern ein oder zwei Drinks weniger genehmigt. Naja, mal sehen. Als die Metro an den Fenstern meines Apartments vorbeidonnerte, war es mir, als zerfetzte mir eine .38er meinen Schädel. Also ab ins Badezimmer, rein in die vom Vorabend verrauchten Klamotten und während der anschließenden Autofahrt darüber nachgedacht, welche Überraschungen dieser Tag für mich noch so im Angebot haben würde...

Das Spielmaterial
64 Karten, 17 Spielsteine, fünf sechsseitige Würfel und ein Spielertableau. Fertig. Überschaubares Material, kurze Aufbauzeit und kurze Spieldauer. Die Charakteristika eines ebenso typischen wie kurzweiligen Reisespiels. Hostage Negotiator wartet darüber hinaus jedoch mit so einigen Aspekten auf, die es aus diesem Genre abheben. Das reine Solospiel findet einen durchaus interessanten Zugang zu einem bisher noch unverbrauchten Thema.

Die Einsatzbesprechung
Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Verhandlungsführers, der es mit einem Geiselnehmer zu tun bekommt und versuchen muss, die Geiselnahme so unblutig wie nur irgend möglich zu einem Ende zu bringen. Anfangs sind dem Spieler nur die Anzahl der Geiseln sowie die Identität des Geiselnehmers bekannt. Drei davon stehen im Spiel zur Auswahl – der kompromisslose Terrorist Arkayne Massua, die Burnout-gefährdete Lehrerin Donna Scarborough und der verzweifelte Familienvater Edward Quinn. Ihre Tatmotive unterscheiden sich ebenso wie deren – dem Spieler zu Beginn noch unbekannten – Forderungen. Diese werden dem Geiselnehmer zu Spielbeginn verdeckt zugeordnet und können von profanen Dingen wie der Zahlung von Lösegeld bis hin zu recht irrationalen Ansprüchen reichen. Auch die vom Geiselnehmer gewünschten Fluchtfahrzeuge wie etwa ein Helikopter oder ein gepanzertes Fahrzeug sind dem Verhandlungsführer – also dem Spieler – zu Beginn noch nicht bekannt.

Die Verhandlungsführung
Dem Spieler stehen offen ausliegende Kommunikationskarten zur Verfügung. Mit einer Kartenhand von sechs dieser Karten geht er ins Spiel. Wird eine dieser Karten ausgespielt, darf der Spieler abhängig vom aktuellen Bedrohungslevel des Geiselnehmers (dieser Wert ist variabel und wird auf dem Spielertableau festgehalten) mit einem, zwei oder drei Würfel werfen. Die Anzahl der mit diesem Würfelwurf erzielten Erfolgs-Symbole führt zu dem jeweiligen auf der ausgespielten Karte angegebenen Effekt. Wird kein Erfolgs-Symbol gewürfelt, erhöht dies den Bedrohungsgrad des Geiselnehmers oder führt dazu, dass er eine Geisel eliminiert. Werden ein oder sogar zwei Erfolgs-Symbole gewürfelt, erhöht dies die Gesprächsbereitschaft des Geiselnehmers, senkt seine Gefährlichkeit oder führt dazu, dass er Geiseln freilässt oder sich der Spieler in der nächsten Runde effektivere Kommunikationskarten auf die Hand nehmen kann.

Der Gesprächsverlauf
Jede Spielrunde besteht aus drei Phasen, die allesamt sehr rasch abgehandelt sind, keinerlei Leerläufe entstehen lassen und das durchaus vorhandene Stresslevel des Spielers im gerade noch gesunden Bereich halten:

Die Konversations-Phase
In dieser Phase werden Kommunikationskarten ausgespielt und abgehandelt. Die dadurch erzielten Effekte erhöhen oder reduzieren das Bedrohungspotential des Geiselnehmers, die Anzahl der verfügbaren Kommunikationspunkte und/oder führen zur Freilassung bzw. zur Eliminierung von Geiseln.

Die Aufräum-Phase
In dieser Phase können Kommunikationskarten für die nächste Spielrunde erworben werden. Dafür müssen Kommunikationspunkte investiert werden, die man sich in der vorangegangenen Konversations-Phase erspielen musste. Je effektiver eine Karte ist, desto mehr solcher Kommunikationspunkte müssen aufgewendet werden, um sie auf die Hand nehmen zu können.

Die Bedrohungs-Phase
Die oberste Karte des Terror-Decks wird aufgedeckt und abgehandelt. Ist dieses aus elf Karten bestehende Deck leer, kann der Verhandlungsführer noch ein letztes Mal Kontakt zum Geiselnehmer herstellen und versuchen, alles zum Guten zu wenden. Gelingt dies nicht, ist das Spiel verloren!

Das Ende der Verhandlungen
Tritt zu irgendeinem Zeitpunkt der Fall ein, dass der Geiselnehmer keine Geiseln mehr in seiner Gewalt hat, der Verhandlungsführer gleichzeitig mehr als die Hälfte dieser Geiseln befreien konnte und der Geiselnehmer entweder verhaftet oder eliminiert wurde, hat der Spieler gewonnen. Alle anderen Spielsituationen führen zur Niederlage des Verhandlungsführers.

Die Nachbesprechung
Zweifellos ist der Verhandlungsverlauf in einer stets sehr kurzweilig verlaufenden Partie stark vom Würfelglück beeinflusst. Jedoch ist es ein Unterschied, ob der Spielverlauf von den Würfelergebnissen „abhängig“ ist oder von diesen eben doch nur „beeinflusst“ wird. Als Laie mag man sich vorstellen, dass die Verhandlungsführung mit einem Geiselnehmer exakt so wie bei Hostage Negotiator abläuft. Man hat es eben doch nicht ganz selbst in der Hand und mitunter sorgen äußere Ereignisse dafür, dass man fieberhaft nach einem „Plan B“ suchen muss, um irgendwie im Gespräch zu bleiben und den drohenden Verlust von Geiseln doch im letzten Moment zu verhindern.

Durch die kurze Spieldauer ist es möglich, in einer Stunde bis zu drei Partien zu absolvieren und dadurch rasch an Erfahrung zu gewinnen und mögliche Erfolgstaktiken auszukundschaften. Hostage Negotiator wartet mit einer interessanten Lernkurve auf, die den Spieler als ahnungslosen Neuling einsteigen, ihn aber durch die Absolvierung weiterer Partien so etwas wie „Berufserfahrung“ sammeln lässt. Anfangs bringen unglückliche Würfelwürfe die Taktik noch gehörig durcheinander, mit zunehmender Fertigkeit und Abgebrühtheit lassen sich jedoch Strategien erarbeiten, die selbst durch Würfelpech kaum noch in Mitleidenschaft gezogen werden.


Das Spiel ist nur in der englischen Originalversion erhältlich. Einige Karten sind sehr textlastig und gute Englischkenntnisse sind daher von Vorteil.

Spieletester

27.01.2016

Fazit

Ein netter Zeitvertreib – sofern das Wort „nett“ im Zusammenhang mit einem ebenso zeitgemäßen wie ernsten Hintergrund verwendet werden darf – und sowohl in Format als auch im Umfang des Spielmaterials ein ideales Reisespiel, das jedoch ein neuartiges Thema transportiert. Interessant, kurzweilig und vom Würfelglück beeinflusst! Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Redaktionelle Wertung:

Plus

  • unverbrauchtes und sehr frisch wirkendes Thema

Minus

  • hohe Glückslastigkeit

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 1
Alter: ab 15 Jahren
Spieldauer: 25 Minuten
Preis: 25,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2015
Verlag: Van Ryder Games
Autor: A.J. Porfirio
Grafiker: Kristi Harmon
Genre: Karten
Zubehör:

Karten:
  3 Geiselnehmer
  1 Handlanger
  7 Hauptforderungen
  4 Fluchtforderungen
  6 einschneidende Ereignisse
21 negative Ereignisse
22 Kommunikationskarten
Sonstiges:
  5 Spezialwürfel (W6)
  1 Bedrohungsstufen-Marker
  1 Konversations-Marker
15 Geiseln
  1 Verhandlungsführer-Tableau
  1 Spielregel (englisch, 16 Seiten)

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