Brettfußball

Wir schreiben das Jahr 1974: Deutschland darf erstmals die Fußball-Weltmeisterschaft austragen (was nicht bedeutet hätte, dass sie sie auch gleich hätten GEWINNEN müssen, zumindest nicht gegen HOLLAND *grrr*... aber das steht auf einem anderen Blatt). Mitten in diesem Turnier steht ein jugendlicher Fußballverrückter namens Walter Müller vor einem Problem: Es ist gerade spielfrei. 

Gut, das ist jetzt nicht so die große Lebenskrise, denn, so Walter Müller: "Dann spielt man eben selbst." Aber der schlimmste Schicksalsschlag folgt noch: Es regnet. Ergo will niemand die trockenen vier Wände verlassen. Was macht man also? Man holt sich einen Pappkarton, zeichnet einen Raster aus Quadraten, schnappt ein paar Schachfiguren, die gerade keiner braucht, rekrutiert seinen Bruder und entwickelt ein Fußballspiel. 

Nach kurzem Test wird klar, dass noch eine Regel eliminiert werden muss, und nach knappen 30 Minuten war "Brettfußball" in heutiger Form fertig. Heute hat dieser "Schnellschuss" eine für ein relativ unbekanntes Spiel nicht unbeachtliche Fan- und daraus resultierende Ligengemeinde.

(Diese, wie ich finde, nette Entstehungsgeschichte ist direkt Walter Müllers Anleitung entnommen, weshalb ich stark davon ausgehe, dass sie der Wahrheit entspricht.)


Das Spiel:

Der Spielpan, gestylt in dezentem Grün und mit den Linien eines Fußballfeldes versehen, ist in 20x24 quadratische Felder unterteilt. Auf den speziell markierten Feldern stellen die Spieler ihre 11 gelben bzw. roten Figuren in Form normaler Halmakegel auf (wenn man nicht, wie die echten Fans, eigene Figuren entwickelt), von denen eine, der Tormann, besonders gekennzeichnet ist (will heißen, der Kopf des entspr. gelben bzw. roten Kegels ist schwarz eingefärbt). Der Anstossspieler wird gelost, am sichersten durch die altbewährte Methode "Wer höher würfelt, beginnt".

Ist ein Spieler an der Reihe, würfelt er einen Würfel. Nun hat er folgende Möglichkeiten:

1. Er bewegt eine seiner Figuren um die gewürfelte Augenzahl (und auch nicht mehr oder weniger).
2. Wenn eine eigene Figur am Ball ist, KANN auch der Ball bewegt werden (auch hier: Nicht mehr und nicht weniger).

Nun beschränkt sich das Spiel auf genau drei Goldene Regeln:

1. Jede Bewegung, sowohl die des Balles als auch die der Figuren, muss gerade sein, und das ausnahmslos nur horizontal oder vertikal. Diagonales Bewegen ist untersagt, und das Wechseln der Zugrichtung ist noch um einiges verbotener, ausgenommen eine der Figuren erreicht den Rand des Spielfeldes. In diesem Fall darf die Figur abbiegen und der Linie entlanglaufen.
2. Der Ball darf jede Figur überfliegen, mit Ausnahme eines Torhüters im Strafraum.
3. Auf jedem Feld darf nur eine Figur stehen. Erreicht aber eine Figur das Feld einer gegnerischen Figur im Ballbesitz, so ist das eine Attacke. Der Spieler platziert seine Figur auf einem Feld rund um den Ball, und der Gegner MUSS in der nächsten Runde den Ball bewegen.

Als Tore fungieren große Felder, die 4 Quadrate umfassen und dem Torraum des Strafraums entsprechen. Diese Felder müssen nicht genau getroffen werden, doch man bedenke, dass der Torhüter im Strafraum nicht überspielt werden darf.

Das Ende des Spieles bestimmen die Spieler selbst. Entweder die Spieler legen einen Zeitraum fest (wobei 90 Minuten als Minimum empfohlen werden), oder die Spieler kicken bis zu einer gewissen Toranzahl.

Spieletester

26.02.2008

Fazit

Nachdem ich nun doch schon seit einiger Zeit - früher, als mein Interesse am Thema noch über EM und WM hinausging, noch viel intensiver als heute - Fußballspiele gesucht und getestet habe, von denen ich heute zum großen Teil sogar schon die Titel vergessen habe, verkünde ich hiermit feierlich folgende Erkenntnis: Fußballspiele funktionieren nur als Geschicklichkeitsspiel (Pro Action Football) oder mit einem abstrakten System (Finale bzw. Tooooooor). "Brettfußball" fällt unter letzteres.

"Brettfußball" verzichtet auf Fußballregeln wie Foul oder Abseits, sogar die Aufteilung in zwei Halbzeiten hat sich Walter Müller gespart. Die einem Fußballfeld nachempfundenen Linien auf dem Plan sind nur für die Regel "ein Torwart darf im Strafraum nicht überspielt werden" wichtig, was die Bewegungs- und Attackierregeln angeht, könnte man genausogut mit einem Eishockeyplan, einem Handballplan oder einer Asphaltfläche mit Kreiderechteck ums Tor spielen.

Und warum nun funktioniert dieses Spiel, das eigentlich so gar nichts dem Fußball entspricht, so gut? Die Erklärung dafür glaube ich in folgendem Punkt zu finden: Sämtliche "Simulationen", die mir untergekommen sind (zuletzt in Form von Fußball Taktik 2006, um mal einen Namen zu nennen) verlieren nach spätestens drei Spielen rapide an Faszination, nämlich dann, wenn sich schmerzlich offenbart, was sie wirklich sind: Entweder stupide Würfelorgien ohne Möglichkeiten für den Spieler, ins Spielgeschehen wirklich einzugreifen oder es gar zu gestalten, oder Regeloverkills, die nach spätestens 10 Minuten die Anleitung in der metaphorischen Ecke landen lässt. Und wenn Du ein Jackpotspiel erwischt hast, trifft beides zu (Shoot!).

Walter Müller hingegen entzieht sich jedem fußballerischen Zwang, der über "Eine Mannschaft besteht aus 11 Spielern und muss mehr Tore schießen als die Gegnerische" hinausgeht (Bezeichnend dabei: Die in der Vorgeschichte erwähnte Regel, die eliminiert wurde, war eine Foulregel !!!). Er reduziert sein Thema auf das Wesentliche, nämlich Kombinationen aus Bewegung der Figuren, schafft das auch noch mit einem sympathischen Minimum an Regeln, und bietet genau damit viele Möglichkeiten, den Ball zu versenken (oder eben das zu verhindern).

Zum Spielerischen:
"Brettfußball" ist weit davon entfernt, ein "Action-Reißer" zu sein. "Brettfußball" ist ein langsames, bedächtiges Spiel, bei dem auch schon mal Denkpausen miteinkalkuliert werden sollten. Es versteht sich als Taktikspiel (weswegen inzwischen auch ein zweites Regelbuch mit taktischen Ratschlägen beiliegt) mit Würfelbeteiligung, die ein gewisses Maß an Zufall ins Spiel bringt.

Fazit: Nach mehreren Versuchen von "Simulationen" landet man am Ende doch beim abstrakten Fußballspiel, und damit hoffentlich irgendwann bei "Brettfußball"... dem Spiel, das in 30 Minuten fertig war. (Kurzer Einwurf, aber das wird mir jetzt erst klar: "Brettfußball" dürfte der einzige Fall in der Geschichte des Spieles an sich sein, bei dem die Spieldauer länger ist als die Entwicklungsdauer...). Seien wir dankbar, dass es an diesem spielfreien Tag 1974 geregnet hat.
(Nett finde ich übrigens auch, dass Walter Müller mit den Schachfiguren, mit denen er das Spiel entwickelt hat, heute noch spielt. Nur hat er seinen Teamfiguren inzwischen die argentinische Dress aufgemalt.)
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2
Alter: ab 12 Jahren
Preis: 20,00 Euro
Erscheinungsjahr: 1974
Genre: Taktik
Zubehör:

1 Spielplan
1 Würfel
2x11 Spielfiguren
1 Figur "Ball"
1 Spielanleitung
1 Taktikbuch

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