Marvel Heroes

"Endlich wieder einmal ein Spiel zu einem noch nicht als Brettspiel verarbeiteten Thema." Das waren zumindest meine Gedankengänge, als ich das erste mal von Marvel Heroes gehört habe. Aber nach inzwischen drei gefühlten 4 Stunden, die in Wahrheit nur je ca. 2 Stunden waren, lautet das Resultat leider: Sollte jemals eine Wahl zum größten Spieleflopp aller Zeiten abgehalten werden, ist meine Stimme hiermit vergeben... an World of Warcraft - The Boardgame. Und Marvel Heroes nimmt einen stabilen zweiten Platz ein.



Das Spiel:

Jeder Spieler übernimmt einen Trupp bestehend aus 4 Marvel-Comichelden. Es gibt die X-Men, die Avengers, die Fantastic 4 und 4 Marvel Einzelkämpfer, die für dieses Spiel zum Trupp "Marvel Knights" kombiniert wurden (was einleuchtet, wenn man bedenkt, dass man sonst ein Marvel-Spiel ohne Spider-Man hätte machen müssen). Zudem erhält jeder Spieler einen Oberbösewicht, und zwar den Erzfeind des Trupps, den der Linke Spieler steuert (Magneto gegen die X-Men, Dr. Doom gegen die Fantastic 4, Red Skull gegen die Avengers und KingPin gegen die Marvel Knights).

Auf einem (sehr spartanisch gestalteten) Plan von New York gibt es nun immer wieder Gefahren, die eines Superhelden bedürfen. Vor Beginn einer Spierunde werden Aktionspunkte vergeben, die die Spieler verbrauchen können. Mit diesen Aktionspunkten werden Helden aktiviert, Helden als Unterstützung für andere Helden definiert oder Verbündete aus den Karten ausgelegt. (Und wenn ich schon beim Thema bin: Bin ich der Einzige, der nicht wusste, dass es eine "Spider-Woman" gab?)

In der darauffolgenden Missionsphase haben die Spieler abwechselnd je eine Aktion, und das fünf mal. Hier können nun die Helden losziehen, um das Böse zu bekämpfen, wo immer es sich auch zeigt. Jede dieser Gefahren haben einen auf der entspr. Missionskarte aufgedruckten Störungswert, der von einem der aktiven Helden reduziert wird. Die übrige Anzahl an Störungspunkten gibt an, wie stark der Schurke sein kann, den der Superheld bekämpfen muss. Nun sind die Gegenspieler am Zug: Beginnend bei dem Spieler, der den Erzfeind der aktiven Gruppe steuert, kann nun jeder Spieler einen Schurken ausspielen. Ist ein Bösewicht aktiv, kann dieser nun noch verstärkt werden, sofern noch Störungspunkte vorhanden sind, die dafür gebraucht werden können.

Ist dies alles abgeschlossen, muss sich der Held nun mit dem Schurken prügeln. Diese Kämpfe gestalten sich trotz der möglichen Zuhilfenahme von Karten, durch spezielle Fähigkeiten der Figuren und durch Unterstützungen durch andere Helden oder Mitglieder des eigenen Trupps, lähmend: Geheim wählt jede Figur aus, ob mit Attacke, Abwehr oder Überlisten gekämpft wird, und in der anschließenden Würfelorgie wird bestimmt, ob KOs verteilt wurden und welcher der Kampfgegner in der nächsten Runde zuschlägt.

An manchen dieser Gefahren ist zudem der Erzfeind der entsprechenden Gruppe beteiligt. Dies ist durch ein Blitzsymbol auf der Missionskarte gekennzeichnet. Der Erzfeind der Gruppe, die derzeit die meisten Siegpunkte zählt, kann immer eingreifen. Dieses Eingreifen gestaltet sich derart, dass er sich zuerst in die Mission an sich einmischt, und danach sich dem Superhelden im Kampf stellt. Gewinnt er diesen Kampf oder wird der Superheld schon von dem Schurken davor besiegt, erfüllt er einen von drei Teilen seines bösen Masterplanes.

Abgesehen von diesen Kämpfen kann der Spieler Helden noch zum Ausruhen schicken, über den Plan ziehen oder eine Storyaktion durchführen. Hierbei handelt es sich um einen besondere Art von Karten, die einem Spieler Siegpunkte bringen, die aber zusätzlich noch eingetauscht werden können, um eine Verstärkung für die Superhelden (wie z.B. das Flugzeug der X-Men) zu erhalten.

Das Ende des Spieles wird vom gespielten Szenario definiert. Es kann mit einer bestimmten Anzahl Spielrunden enden, mit einer Anzahl Siegpunkten oder mit einer Endmission, die erfüllt werden muss.



Spieletester

14.03.2007

Fazit

Leider aber klingt das alles viel unterhaltsamer und abwechslungsreicher, als es wirklich ist: Marvel Heroes macht den größten Fehler, den ein wie auch immer geartetes Spiel machen kann: Es ist lähmend, einschläfernd, quälend LANGWEILIG. Du glaubst förmlich zu fühlen, wie dieses Spiel Dir die Lebensenergie entzieht. Und zudem sind die Mechansimus auch noch unausgegoren. Doch im Detail:

So gut ich die Idee, den Bösewicht für einen der Spieler zu spielen, finde, so sehr hat sie enttäuscht: Zu wenig kann man mit dem Mastermind wirklich agieren, zu sehr ist man von der Gruppe, die man damit bekämpfen will, abhängig, ob man ihn überhaupt spielen darf. Die Idee des "Masterplanes", die der Oberschurke ausführen darf, floppt auf der ganzen Linie: In genau EINEM Szenario kann man mit der Erfüllung des Masterplanes gewinnen, in allen anderen Szenarien kostet diese Erfüllung des Planes dem Gegner nur Punkte. Boargamegeek bietet zwar eine Varinate an, in der die Bösewichte zumindest gezielter agieren können, doch auch ohne diese Variante wirklich gespielt zu haben, vermag ich zu sagen, dass sie das Spiel nicht retten kann, denn abseits des Oberschurken fangen die Probleme erst so richtig an:

Das Spiel vergeigt nicht nur seine beste Idee (die übrigens in Avalon Hills Monsters Menace America gewinnbringend eingearbeitet wurde und somit auch in einem GUTEN Spiel vorkommt), es versagt auch auf allen anderen Ebenen kläglich. Wer denkt, dass man mit den Fähigkeiten der Helden, den Verbündetenkarten und den Schurkenkarten mit Kartenkombinationen agieren kann, sollte die Existenz von Marvel Heroes schnell aus seinem Gedächtnis streichen und weiter Runebound spielen (oder sich dieses Spiel schleunigst zulegen). Die Heldentrupps sind allesamt nach dem selben Schema aufgebaut, abgesehen von den Namen der Helden unterscheiden sie sich kaum. Pro Trupp gibt es vielleicht eine Fähigkeit, die aus der Masse hervortritt, ansonsten hat jede Truppe einen Helden, der Störungspunkte vermindert, einen Helden, der im Kampf neu würfeln lässt, einen Helden, der Karten mit Verbündeten ziehen lässt...

Selbiges gilt für die Verbündeten und die Schurkenkarten: Für jeden Trupp gibt es jede Karte einmal. Zusatzeffekte für die Schurken gibt es vielleicht fünf oder sechs Verschiedene, einmal bekannt sind sie schnell "abgespielt".

Die "Kämpfe" gestalten sich in Ihrer Art als reine Würfelorgie ohne wirkliche Einmischungsmöglichkeit als hochgradig langweilig, und befinden sich mit dem Rest des Spieles damit in guter Gesellschaft. Den Untertitel "Das strategische Brettspiel" kann ich nur als Hohn ansehen, es gibt kaum wirkliche "strategische" Möglichkeiten. (Andererseits: Auf der Risikoschachtel steht seit 30 Jahren "Strategie-Spiel", und tatsächlich ist es ein reines Würfelspiel...). 

Ebensowenig kann man sich ausrechnen, wie hoch die Chancen stehen, wenn man mit einem Superheld in einen bestimmten Kampf zieht, da man ja nicht weiß, welcher Schurke ausgespielt werden wird. Und da man leider auch keinen Superhelden dauerhaft verstärken kann (z.B. mit Waffen oder Ausrüstungsgegenstände... die Verstärkungen, die über die Storykarten ins Spiel kommen, reduzieren nur die Aktionspunktkosten, erhöhen die Lebenspunkte eines Helden um 1 oder steigern die Mobilität), verliert das Spiel den letzten Rest an Faszination: Es ist möglich, von der ersten Runde an gleich die Missionen mit den höchsten Störungsgraden ins Visier zu nehmen oder bis zum Ende nur leichte Missionen zu spielen. Die Figuren wenden nicht stärker oder schwächer, sie verändern sich nicht. Und das über 2 Stunden. Und unausgewogen sind sie auch noch. Um mal einen Namen zu nennen: Spider-Man ist mit einem Gefahren-Wert von 3 viel zu mächtig.

Noch ein paar letzte Worte zur Ausstattung: Die Superheldenfigürchen (siehe Bildmaterial) sind zwar sehr nett anzuschauen, können das Spiel aber klarer weise nicht retten. Punkteabzug gibt es prinzipiell für die Anleitung, die Fragen offen lässt, sich in Zweideutigkeiten verliert und die Einmischung des Oberschurken schlichtweg verkehrt herum erklärt. Am Unbrauchbarsten aber erweisen sich - wieder einmal - die beigelegten Übersichten. Um ihre offensive Unbrauchbarkeit zu verdeutlichen sei als Beispiel angeführt: Die Übersicht listet die Namen der Helden einer Gruppe und seinen Erzfeind auf, nicht aber die Einmischungsmöglichkeiten des Erzfeindes.

Eine hochgradig langweilige, total missglückte Verschwendung einer netten Idee für ein Brettspiel. Schade... aber immerhin hat das Autorenteam mit "Der Herr der Ringe - Der Ringkrieg" ja zumindest einen unsterblichen Klassiker geschaffen.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 120 Minuten
Preis: 45,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2006
Genre: Action
Zubehör:

1 Spielbrett
16 Superheldenfiguren in 4 Teams
4 Oberschurkenfiguren
8 Würfel
12 Masterplankarten
24 Storykarten
36 Auftragskarten
12 Verstärkungskarten für jedes Team
50 Ressourcenkarten
50 Schurkenkarten
10 Szenariokarten
16 Charakterkarten für die Superhelden
4 Charakterkarten für die Oberschurken
4 Spielübersichten
106 Spielmarken

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